Die Sache mit dem „Verkatten“

Ich freue mich, wenn über meine Texte diskutiert wird. Fast schade finde ich nur, dass ich so selten zeitnah darüber stolpere. Heute Abend ist das passiert, als ich in Deutschlands wohl größtem Segelstammtisch auf Facebook las. Es ging um das „Anker Spezial“ aus segeln 4/2015, an dem ich mitgearbeitet habe.

In der Facbook Gruppe kam die Frage auf, ☞ob Verkatten in der Schiffahrtspraxis überhaupt funktioniert? Gleich darunter folgt ein Zitat des selbsternannten Segelpapstes Bobby Schenk. Der schreibt auf ☞seiner Webseite dazu: „also, um es gleich vorweg zu sagen, ich halte nichts vom Verkatten. Ehrlich: Ich habe in meiner ganzen Segellaufbahn noch nicht ein einziges Mal erlebt, dass jemand verkattet hat, obwohl ich mich ständig in Szenen aufhalte, wo täglich geankert wird.

Auch in der Wikipedia steht  heute zu lesen, es sei ein Running Gag aus den Lehrbüchern.

Tatsächlich ist der Wikipedia Artikel aber auch sonst eher eigentümlich: Angefangen damit, dass er einen Meinungs Kommentar enthält, was bei einem Nachschlagewerk eher unüblich ist. Aber sei es drum: Meinung steht schließlich jedem zu, der sich auskennt.

Über diesem Kommentar steht daher auch bereits seit mindestens vier Jahren: Der „…nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (beispielsweise Einzelnachweisen) ausgestattet. Die fraglichen Angaben werden daher möglicherweise demnächst entfernt…“

Kann verkatten funktionieren? Ich habe diese Technik regelmäßig erfolgreich genutzt
Kann verkatten funktionieren? Ich habe diese Technik regelmäßig erfolgreich genutzt.

Verstehen darf man diesen Standard Textbaustein in der Wikipedia als die höfliche Umschreibung für: Hier steht Unsinn. Ob sich die Qualitätssicherung der Wikipedia irgendwann einmal dazu durchringt, den Vorschlag von der Diskussionsseite aufzugreifen und den Artikel, an dem auch noch weitere fachliche Mängel bestehen, einfach zu löschen, wird sich zeigen.

Das sei denen überlassen, die dort aktiv schreiben.  Mein Thema ist, dass dort steht, dass „verkatten allein schon deswegen nicht funktioniere, weil sich eine Verteilung der Last auf beide Anker nur dann einstellt, wenn beide Anker in Zugrichtung vorgespannt“ sind.

Das zu lesen ist beruhigend, denn es offenbart, dass der Wikipedia-Autor einfach nur den Zweck der Übung nicht verstanden hat. Beide Anker gleichmäßig zu belasten, ist tatsächlich nicht möglich. Aber es ist auch gar nicht nötig oder gewollt.

Der „innere“ Anker wird, wie auch in den folgenden Kommentaren bei Facebook zu lesen ist, meist „nur“ den Job eines kräftigen Reitgewichts einnehmen. Dabei wirkt er aber nicht nur als Gewicht, sondern durch seine Grundeigenschaften als Anker auch wie eine Bremse. Und das auf zwei Weisen, je nachdem, ob er groß oder klein ist.

Mit „äußerem“ Hauptanker

Logbuchskizze zur Vorbereitung auf einen Frontdurchgang an unsicherem Ankerplatz. Der Wind sollte von Süden (links im Bild) beginnen aufzufrischen und auf bis zu 40kn zunehmen, bevor Landabdeckung (oben rechts) gegeben ist.
Logbuchskizze zur Vorbereitung auf einen Frontdurchgang an unsicherem Ankerplatz. Der Wind sollte von Süden (links im Bild) beginnen aufzufrischen und auf bis zu 40kn zunehmen, bevor Landabdeckung (oben rechts) gegeben ist.

Wird der innere Anker durch einen plötzlichen Richtungswechsel ausbrechen, mindert er am vorderen Anker nicht nur den Ruck, sondern bremst beim wieder eingraben sofort auch den Zug auf ihn. Damit kann erreicht werden, dass der äußere Anker nicht ebenfalls ausbricht. Er kann sich stattdessen in seinem Schlick-/Sandbett langsam drehen sofern der Zug konstant bleibt. Dabei wirkt dieser Zug im idealen Winkel parallel zum Grund.

Diese Bremswirkung und Zugrichtung hilft auch dabei, dass ein nicht richtig sitzender Hauptanker die Möglichkeit zum festeren Eingraben bei schlechtem Untergrund hat.

Innerer Hauptanker

Wie in der im Artikel dargestellten Grafik, wird aber oft der innere Anker zum Hauptanker, weil an ihn einfach ein kleinerer Anker geschäkelt wird. Dies ist tatsächlich nicht ideal und funktioniert auch nur dann zuverlässig, wenn die Zugrichtung halbwegs konstant bleibt. Denn der äußere Anker wirkt hier nur Zugentlastend. Dass diese Methode so oft benutzt wird, liegt schlicht daran, dass sie meist dann zum Einsatz kommt, wenn ein Anker nach mehreren Versuchen keinen zuverlässigen Halt bekommen hat. Dann aber entsteht genau die im Wikipedia beschriebene Situation: Der Innere Anker baut Zug auf den äußeren Anker auf und beide verkatteten Anker teilen sich die Haltekraft. Allerdings wiederum nicht zu gleichen Teilen: Der Hauptanker bleibt der Hauptanker.

Aber wird das auch gemacht? Ich kenne Bobby Schenk nicht persönlich und auch kaum eines seiner Bücher. Seinem Einwand, dass das nicht gemacht wird, kann ich nur widersprechen und erinnere mich an eine Reihe von Leuten mit Booten zwischen 20 und 60 Fuß , die das Manöver alles andere als ungewöhnlich finden.

Verkattete Boote schwojen unauffällig bei Winddrehern
Verkattete Boote schwojen unauffällig bei Winddrehern

Ich selbst nutze es fast immer, wenn ich irgendwo für längere Zeit an einem Ankerplatz bleiben möchte oder mich auf einen Frontdurchgang mit stetem Winddreher bei +30kn vorbereite.

Mag sein, dass Schenk nur nicht aufgefallen ist, wenn um ihn herum Anker verkattet wurden. Die meisten Langfahrtschiffe fahren eh zwei Anker am Bug und da ist einer schnell umgeschäkelt.

Verkattete Boote, ganz im Gegensatz zu vermurten, benehmen sich dann in einem Ankerfeld auch ganz unauffällig und schwojen brav mit allen anderen. Sie haben nur eben noch eine Reserve, wenn der nächste Squall kommt.


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