Herbstvorboten

Unter schweren Wolken und Regen erreicht Paulinchen die letzte Schleuse vor Ottawa
Unter schweren Wolken und Regen erreicht Paulinchen die letzte Schleuse vor Ottawa

Abwechselnd in T-Shirt und Badehose, dann in Ölzeug mit Fleecejacke und Thermoskanne Tee im Cockpit. Über den Illinois River zieht eine herbstliche Kaltfont und innerhalb von Minuten schwanken die Temperaturen zwischen 25 und 15 Grad Celsius. Das passt zum Plan für diesen Herbst: Wenn es kalt wird soll es weiter nach Süden gehen. Das machen hier im Moment alle so. Ich bin mitten drin im Pulk der „Snowbirds“, den Crews, die von den großen Seen aus vor dem Winter in Richtung Golfküste fliehen.

Zu fünft verlassen wir Joliet kurz nach Sonnenaufgang und etwas unausgeschlafen. Voraus blitzt es aus schweren Wolken über dem Fluss. Paulinchen hat als einziges Segelboot in der Gruppe kein Dach überm Cockpit. Und als kleinstes Schiff fällt sie schnell ans Ende des Trecks zurück. Mark und Fred bleiben in der Nähe. Die beiden Einhandmotorbootfahrer „loopen“ hier seit einigen Jahren auf den Flüssen hin und her. Im Winter nach Süden, im Sommer nach Norden. – Lebensinhalt kann in einen Satz passen.

Paulinchen hatte in den letzten Tagen mal wieder etwas ärger mit dem Motor. Es dauerte fast eine halbe Woche herauszufinden, warum der immer wieder plötzlich Drehzahl verlor oder sogar einfach stehen blieb. Fred hatte die passende Idee: Per Handpumpe drückten wie kräftig Diesel in die Spritleitung, dann warten, wieder drücken, warten… Tatsächlich zeigt sich nach einer Weile an einer Dichtung etwas Diesel. – Wo Sprit aus der Leitung kommt, kommt auch Luft hinein. Sammelt die sich zu einer Blase und erreicht die Einspritzpumpe, killt das den Motor. Langsam werde ich doch noch zum Maschinisten. Dabei ist mein Interesse an Motoren eigentlich eher minimal.Eine neue Kupferdichtung schließt das Leck und der Motor läuft seit dem ohne Probleme. Trotzdem, bleiben Fred und Mark bei mir. Nach dem Filterwechsel und dem Defekt jetzt, ist das vertrauen in die Maschine etwas gesunken. Und die Maschine ist angesichts der riesigen Schubverbände hier unverzichtbar. Neun Schuten vor einem Schlepper sind keine Seltenheit. „Zur Not können wir Dich wenigstens auf eine Sandbank schubsen“, lacht Fred.

Warten vor Dresden Lock
Dresden Lock könnte tatsächlich auch an der Elbe liegen

Die, die vorauspreschen, treffen wir ohnehin immer wieder. Wo wir eine Stunde vor den Schleusen warteten, drehten sie schon für zwei oder drei ihre Kreise. Irgendwie wirkt das unsinnig und übereilt. Wenn die Schleusenwärter uns mehr als eine Stunde prophezeien, lassen wir einfach unsere Anker neben den Fahrwassertonnen fallen. Drängeln passt nicht zum Reisen auf diesen Flüssen und wer allein an Bord ist, hat besseres zu tun, als Kreise zu fahren. „Maybe we have to stay for a night, maybe for an hour. What does it matter?“, kommentiert Mark.

Unser nächstes Ziel ist Ottawa. Das liegt gute 50 Flussmeilen weiter. Mehr ist hier kaum an einem Tag zu schaffen, obwohl die Distanzen geringer sind, als auf offener See: Zum einen werden sie in US-Landmeilen gemessen und die ist nur 1,6 Kilometer und nicht 1,8 Kilometer lang. Außerdem schiebt der Fluss mit rund einem halben Knoten von hinten. Unser Konvoi kommt so auf 6,3 Knoten Reisegeschwindigkeit über Grund. Das Etmal könnte ich eventuell noch etwas verbessern. Ich schleppe mein Dingi und überlege, beim nächsten Stopp die Luft herauszulassen und es an Deck zu stauen.

[quote align=“center“ color=“#999999″]Andererseits machen die Schleusen exakte Planung eh schwer. Anderthalb Stunden Wartezeit pro Schleuse erweisen sich als gutes Mittelmaß und geben zumindest einen Richtwert bei der Kalkulation kommender Tagesetappen[/quote]

 

Kühe am Ufer finden statt Abkühlung heute eher angenehm warmes Wasser im Fluss
Die Kühe am Ufer finden statt Abkühlung heute angenehm warmes Wasser im Fluss

Der Industriekanal ist seit Joliet endgültig zu Ende. Die Landschaft, durch die sich der Fluss schlängelt, ist seit dem beinahe unspektakulär. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man kaum zwischen den dicht bewaldeten Ufern hindurch sehen kann. Wo das geht, sieht man meist kleine Dörfer, Wiesen und Kühe. Wo sie können, stehen sie oft im rund zwanzig Grad warmen Wasser, wenn wieder eine kalte Schauerböe über die Ufer weht. Aber meist Wiesen enden heute nicht mehr am Wasser und die Landwirte haben die Uferstreifen zu Plätzen für Dauercamper umfunktioniert.

Bauen darf man so dicht am Ufer nicht, aber die Infrastruktur für ein Wohnmobil mit festem Strom und Wasseranschluss ist kein Problem. Kommt eine Flut, wird das „Heim“ einfach einige Tage in höhergelegenen Gegenden geparkt.

Wir erreichen Ottawa eine Stunde vor Sonnenuntergang. Dass es Probleme geben wird, hatte ich schon vor dem Abbiegen aus der Fahrrinne geahnt: Die Stege sind im Handbuch „Skipper Bob“ mit sieben Fuß Wassertiefe beschrieben. Am letzten Brückenpegel aber war die Durchfahrtshöhe fast drei Fuß höher als angegeben. Simple Mathematik: Was oben hinzugekommen ist, muss unten fehlen. Und tatsächlich steckt Paulinchen 50 Meter vor den Stegen im Schlick fest. Nach etlichen Anläufen kommen Fred und Mark mit ihrem Dingi und suchen mit Bootshaken vergeblich nach einem Weg für mich zu den Stegen. „So what“, denke ich und lasse in etwas tieferem Wasser den Anker fallen. Das Dingi werde ich wohl doch den Rest der Strecke hinter mir herschleppen.


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