Wintereinbruch

Fishingboats in Pentwater, Michigan, USA
Fischerboote in Pentwater

Im Hafen von Pentwater vergeht der Morgen zäh. Die Angelboote bocken fest vertäut im leichten Schwell, die Fischer dazu, stehen in Gruppen mit Kaffeebechern an Land und plaudern. Niemand hier bringt Fisch beruflich an Land. Bestenfalls hat der eine oder andere einen Deal mit einem örtlichen Restaurant und verwandelt so einen Teil seines Fangs in ein kleines Einkommen.

Die, die hier beieinanderstehen und stetig den Blick Richtung Nordwesten in den Wind richten, sind durchweg Hobbyfischer. Nicht auszulaufen, bedeutet keinen Verlust von Geld, nichts drängt, außer der unerfüllten Sehnsucht nach einem weiteren Tag auf dem See. Zumindest kann man sich heute gegenseitig die letzten Anschaffungen erklären und beratschlagen, was noch zum perfekten Fischerboot fehlt. Gestern ging nicht einmal das.

Ein bisschen ist die Stimmung in der Marina wie an einem der ersten Frühlingstage im Jahr, wenn nach einem langen Winter die Straßencafés öffnen und überall lächelnde Menschen in der Sonne spazieren gehen. Der Winter, der heute vorbei ist, war nur kurz. Er dauerte einen Tag und fand am 16. August statt. Dauerregen, Sturmböen, Gewitter. Etwas weiter nördlich, dort, wo ich vor einigen Wochen nach dem langen Aufenthalt in Kanada in die USA zurückgekehrt bin, lagen die Temperaturen dazu im einstelligen Bereich. – Wir sind froh, in einem langen Schlag über Nacht noch vor dem Frontdurchgang aus der Little Traverse Bay hier gekommen zu sein.

Herbstiliches Tief mit Nebelschwaden, Regen und Gewittern in Pentwater, Michigan
Die lichten Momente des "Winters"

Kinga ist wieder für eine Weile mit an Bord und nach dem langen Warten auf das Cruising Permit tat es gut, endlich einen Wegpunkt in über hundert Meilen Entfernung anzusteuern und damit den Stillstand zu beenden.

Aber selbst hier, rund 200 Meilen südlich der Grenze sorgt das „herbstliche Tief“ über dem Norden Michigans noch für einen Tag, an dem nur vereinzelt graue Gestalten aus kleinen Luken kriechen und zwischen Booten und Sanitärgebäuden im Regen hin und her huschen.

Wir erkunden trotzdem die kleine Stadt. Über drei Blocks zieht sich das Zentrum hin, in dem sich die üblichen Touristenfallen kleiner Stadthäfen aufreihen. Hauptattraktion: The Brown Bear und das Villagers Café. Vielleicht auch der Candy Laden, oder der kleine Shop mit den „Special Gifts“ und sicher zählt auch die Tiki-Bar dazu.

Trotz all dem wirkt Pentwater auf uns einladender als Charlevoix oder auch Harbor Springs es taten. Beide Orte boten alles für einen traumhaften Urlaub und in beiden Städchten trafen wir auf enorme Gastfreundschaft. Hier gibt es weniger Luxus und alles ist weniger imposant. Pentwater ist weniger das Abbild amerikanischer Stereotypen und dafür mehr Amerika, in dem sich hin und wieder Stereotypen abbilden. Es wirkt natürlich und glaubwürdig.

Notorious Bear Burger
Beim Start meiner Reise gab es in "segeln" eine Rubrik "Hafenrestaurant". Das "The Brown Bear" hätte keine hundert Meter vom Boot entfernt sicher einen Platz in dieser Rubrik verdient.

Das liegt an Kleinigkeiten. Leuten, die in Jogginghosen einkaufen gehen, dem Fehlen von pink-farbenen Herren-Poloshirts in der Tiki-Bar, in der es keinen Havana Club gibt und der „Fish Cleening Station“, an der die Angler abends zusammenkommen und ihre Beute ausnehmen und filetieren und die man als Fußgänger besser in Luv passiert.

Einen Tag später ist der kurze Winter vorbei. Rückseitenwetter. Wer an der Ostsee segeln gelernt hat, kennt das: böiger Wind, über die Küste huschen Wolkenfetzen und in den schmalen Stichkanal, der den Pentwater Lake künstlich mit dem Lake Michigan verbindet, rollen kabbelige Wellen vom großen See herein. Kein herauskommen für die meisten der kleinen Motorboote.

Mit unserem großen Boot ist es auch nicht besser: Unmittelbar vor dem Kanal hatte ich nur etwa einen Meter Wasser unterm Kiel. Und dort rollen laut Wettervorhersage 1,20 Meter hohe Wellen am Strand entlang.

Remembering nearly 70 sunken ships in a storm 1940
Friedhof der Schiffe: vor Pentwater sanken 1940 fast 70 Schiffe in einem Sturm

Der Lake Michigan erklärt sich heute selbst: Binnensee bedeutet nicht seicht und banal. Vor Stränden wie dem in Pentwater hat 1940 ein einziger Sturm fast siebzig Boote versenkt. Seit dem gibt es alle dreißig Meilen einen „Harbour of Refugee“. Geschützt genug, um vor den Brechern in Deckung zu gehen. Meist sind diese Häfen, wie hier in Pentwater als staatliche Marina angelegt und bestehen aus einem Kanal, der kleine Seen zu Häfen macht. Hin und wieder führen die Kanäle auch nur in kreisrunde Becken, in denen man ankern und Unwetter abwarten kann, ohne jegliche Infrastruktur. Fast immer sind es aber irgendwie romantische Plätze, an denen man der Brandung hinter den Dünen zuhört und dem Wind im Rigg lauscht, während der Himmel langsam wieder aufklart.

Danach sollte es eigentlich weitergehen. Doch nebenan war gestern Geburtstag. – Und in achterlicher See möchte heute niemand zum nächsten Hafen segeln.


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Impressum & Datenschutz